Die Mysterien des Pferderückens

von Dr. Hilary Clayton

erschienen im Magazin "Dressage Today", Februar 1999

(Übersetzung Jenny Neuhauser)

Als Dressurreiter sind wir uns alle sicher der Wichtigkeit der Bewegungen der Wirbelsäule des Pferdes sehr bewusst. Als Forscherin möchte ich immer auf dem neuesten Stand des Wissens über die Wirbelsäulenmechanik sein. In Europa sind mindestens drei Forschungsgruppen daran, den Pferderücken zu erforschen und in diesem Artikel werde ich Ihnen einige Resultate vorstellen. Zuerst jedoch ein kurzer Blick auf die Anatomie der Wirbelsäule des Pferdes.

Pferde haben ungefähr 56 Wirbel, welche die unterstützende Grundstruktur für Hals, Rücken und Schweif bilden. Im Hals gibt es 7 zervikale Wirbel, im Rumpf (Widerrist und Sattelregion) sind 18 Brustwirbel, in der Lende 6 sind lumbale, in der Kruppe sind 5 sakrale und in der Schweifregion sind 20 caudale Wirbel (siehe Diagramm). Bei den Bandscheiben zwischen den benachbarten Wirbeln ist immer ein wenig Bewegung möglich und die Summe all dieser kleinen Bewegungen bestimmt die äusserliche Form von Hals und Rücken des Pferdes. Je nach Lage variiert das Ausmass der möglichen Bewegung sehr stark.

A-O: Atlanto-Okzipitalgelenk zwischen dem Schädel und dem ersten Halswirbel. C-T: Zervikothorakales Gelenk zwischen dem letzten Hals- und dem ersten Brustwirbel. T-L: Thorakolumbales Gelenk zwischen dem letzten Brustwirbel und dem ersten Lendenwirbe…

A-O: Atlanto-Okzipitalgelenk zwischen dem Schädel und dem ersten Halswirbel. C-T: Zervikothorakales Gelenk zwischen dem letzten Hals- und dem ersten Brustwirbel. T-L: Thorakolumbales Gelenk zwischen dem letzten Brustwirbel und dem ersten Lendenwirbel. L-S: Lumbosakrales Gelenk zwischen dem letzten Lendenwirbel und dem Kreuzbein, welches in dieser Grafik hinter den Beckenknochen versteckt ist.

Der Pferdehals ist in alle Richtungen sehr mobil, was sowohl für das Grasen als auch für das Kratzen, Fliegenverscheuchen und andere Verhaltensmuster wichtig ist. Der andere bewegliche Teil ist der Schweif, welcher als Insektenschutz und Indikator für Irritation oder Unbehagen dient. Der „Rücken“ beinhaltet Brustkorb, Lende und Kruppe und ist eher für Stabilität als Flexibilität gebaut. Dies ist für den sicheren Anschluss von Vorder- und Hinterhand wichtig und kann die Antriebskraft nach vorne der Hinterhand übertragen. Obwohl zwischen den einzelnen Wirbeln nur wenig Bewegung möglich ist, ergibt die Summe eine beträchtliche Bewegungsmöglichkeit des gesamten Rückens.

Wir werden uns auf die Beugung (Flexion) und Streckung (Extension) der Wirbelgelenke konzentrieren, welche das Runden oder Durchdrücken von Hals oder Rücken ermöglichen. Studien an toten Pferdekörpern haben die maximale Beugungs- und Streckungsfähigkeit an jedem einzelnen Wirbelgelenk gemessen (siehe Grafik). Das Atlanto-Okzipitalgelenk, welches zwischen dem Schädel und dem ersten Halswirbel ist, erlaubt Beugung und Streckung in einem Bereich von fast 90 Grad. Die weiteren Halswirbel sind auch alle ziemlich beweglich und erlauben einen Bewegungsradius von ungefähr 15 bis 35 Grad, was immer noch einiges mehr ist als wir benötigen, um den Pferdehals zu runden.

Das erste Brustwirbelgelenk, gerade vor dem Widerrist, hat einen Bewegungsradius von ungefähr 10 Grad, aber der Rest des Rückens ist viel weniger beweglich. Im Widerrist gibt es nicht mehr Bewegung als ungefähr 1 Grad in jedem Gelenk. Der Widerrist muss die Stabilität der Vorhand gewährleisten und die Übertragung der Kräfte von der Vorhand hebt den Widerrist und die Vorhand als Ganzes an. In der Sattellage hat jedes Gelenk ungefähr 3-4 Grad Bewegungsmöglichkeit, was genug ist, um den Effekt zu sehen und fühlen, wenn das Pferd unter dem Reiter den Rücken wölbt oder durchdrückt. Das lumbosakrale Gelenk, zwischen dem letzten Lendenwirbel und dem fest zusammengewachsenen Kreuzbein ist untypisch, weil es beträchtlich mehr Bewegung erlaubt mit ungefähr 30 Grad Beugung und Streckungsmöglichkeit. Dieses Gelenk erlaubt dem Becken vorwärts zu rotieren und bringt die Hinterhand unter das Pferd, was für die Versammlung so wichtig ist.

Manchmal sind Bewegungen in einem Bereich der Wirbelsäule zusammenhängend mit der Bewegung in einem anderen Bereich. Beispielsweise wenn das Pferd den Kopf und Hals senkt, wird der Rücken gewölbt und umgekehrt, wenn der Kopf angehoben wird, wird der Rücken durchgedrückt. Um das Runden im Pferderücken zu maximieren sollte der Hals nicht nur tief sondern auch etwas gerundet (Beugung des Halses) sein und nicht nur tief und ausgestreckt. Das erklärt, warum das Arbeiten in einer vorwärts-abwärts Haltung gut ist, um die Rückenlinie zu dehnen.

Wenn das Pferd ohne Reiter naturgegeben trabt, schwingt der mittlere Teil seines Rückens jeweils zweimal auf und ab innerhalb jedes Trittes. Er wölbt sich in der Schwebephase und hängt etwas durch, wenn die diagonalen Beinpaare das Gewicht aufnehmen. Das lumbosakrale Gelenk schwingt auch im Rhythmus jeden Trittes. Es ist maximal gerundet, wenn das Hinterbein vorschwingt und flacht sich ab, wenn das Hinterbein in der Schubphase nach hinten stösst. Angenommen der Rücken des Pferdes schwingt in der gleichen Art, wenn es geritten wird, kommt der Rücken in der Schwebephase unter dem Sattel hoch und nimmt Kontakt zum Reitersitz auf und flacht dann in der Abwärtsbewegung wieder etwas ab.

Die Muskeln kontrollieren die Rückenbewegungen so, dass die Beugemuskulatur (Bauchmuskeln) dann aktiv sind, wenn die Rückenlinie gedehnt wird und die Streckmuskeln (Rückenmuskulatur entlang der Wirbelsäule) dann aktiv sind, wenn der Rücken flach wird. Das tönt vielleicht etwas widersprüchlich zu dem, was man erwarten würde. Es zeigt aber, dass diese Bewegungen zwischen den Rückenwirbeln durch die Vorwärtsbewegung erzeugt wird und durch die Rückenmuskulatur kontrolliert wird. In anderen Worten es sind nicht die Rückenmuskeln, welche den Rücken wölben, sondern sie kontrollieren das Ausmass des Wölbens und des Flachwerdens.

Was für uns jetzt wichtig zu wissen ist, wie sich die Bewegungen und die Muskelaktivität durch Ausbildung verändert, wenn das Pferd lernt in einer runderen Form sich zu bewegen und welche Muskeln gebraucht werden, um Versammlung und Selbsthaltung zu erzeugen.