Die Balance des Pferdes

von Dr. Hilary Clayton

erschienen im Magazin "Dressage & CT", Dezember 1998

(Übersetzung Jenny Neuhauser)

Balance ist ein Schlüsselkonzept für Reiter. Gemäss dem FEI Regelbuch ist eines der Ziele von Versammlung „die Balance und das Equilibrium (Gleichgewichtsverteilung), weiter zu entwickeln, welches durch das zusätzliche Reitergewicht mehr oder weniger verlagert wurde“. Im MacPhail Labor ist eines unserer Projekte die Untersuchung der Balance von Pferd und Reiter. Dieser Artikel wird Ihnen eine Einführung in diese Forschung und ein paar allgemeine Informationen über Balance und welche Faktoren diese beeinflussen.

Als erstes einige Definitionen:

  • Der Schwerpunkt ist ein Punkt im Körper, welcher das Gewicht des ganzen Körpers repräsentiert
  • Balance oder Equilibrium beschreibt die Stabilität des Körpers
  • Die Unterstützungsbasis ist der Bereich, welcher durch die Hufe des Pferdes, welche im Kontakt mit dem Boden sind, begrenzt wird

Das Diagramm zeigt die Lokalisation des Schwerpunktes in einem stehenden Pferd. Er liegt ungefähr zwischen der 12. und 13. Rippe, nahe einer Linie, welche die Schulter mit dem Sitzbeinhöcker des Pferdes verbindet. Er liegt demzufolge ziemlich genau unter der Position der Sitzbeinhöcker des Reiters. Um diese Lage bei dem eigenen Pferd zu finden, kann man eine Linie mit einer Kreide von der Schulter zu dem Punkt des Hinterteils zeichnen, dann von der letzten Rippe (18. Rippe) nach vorne zählen. Im Zwischenraum der 13. und 12. Rippe angelangt, kann man dieser kleinen Grube weiter zu der Kreidelinie folgen.

Grafik 1: Lage des Schwerpunkts von der Seite gesehen. Er liegt auf der Höhe der 12. bis 13. Rippe, ein bisschen unter der Linie, welche die Schulter mit dem hintersten Punkt des Gesässes verbindet.

Grafik 1: Lage des Schwerpunkts von der Seite gesehen. Er liegt auf der Höhe der 12. bis 13. Rippe, ein bisschen unter der Linie, welche die Schulter mit dem hintersten Punkt des Gesässes verbindet.

Grafik 2: Lage des Schwerpunktes von oben gesehen. Die vier Hufe bilden den Grundriss der Unterstützungsbasis, welche durch die gepunktete Linie dargestellt wird.

Grafik 2: Lage des Schwerpunktes von oben gesehen. Die vier Hufe bilden den Grundriss der Unterstützungsbasis, welche durch die gepunktete Linie dargestellt wird.

Wenn das Pferd geschlossen steht, unterstützt von allen 4 Hufen, formt die Unterstützungsbasis ungefähr ein Rechteck. Wenn nun eine senkrechte Linie vom Schwerpunkt auf den Boden gelegt würde, würde diese innerhalb dieses Rechteckes auftreffen. Jedoch liegt der Schwerpunkt nicht in der Mitte der Unterstützungsbasis. Wie man in der Grafik sehen kann, liegt es näher zur Vorhand als zur Hinterhand, was zeigt, dass die Vorhand mehr Gewicht trägt (ca. 55-60%) als die Hinterhand (ca. 40-45%). Die gewichtstragende Funktion der Vorhand zeigt sich auch in der säulenartigen Konstruktion, mit relativ wenig Winkelung in den Gelenken. Die stärker gewinkelten Gelenke der Hinterhand sind weniger gut für das Gewichttragen sondern mehr für die Antriebskraft konstruiert.

Eines der Ziele der Dressurausbildung ist, diesen Schwerpunkt näher zur Hinterhand zu bringen, so dass die Gewichtsverteilung zwischen der Vor- und Hinterhand sich gleichmässiger verteilt. Wenn die Vorhand etwas vom Gewicht erleichtert werden kann, wird sie beweglicher.

Eines der Projekte im McPhail Labor ist die Berechnung des Schwerpunktes von Pferd und Reiter in unterschiedlichen Gangarten und Lektionen und die Auswirkung des Reiters auf die Balance des Pferdes. Die Ingenieure Adam Arabian und Joel Lanovaz erforschen unterschiedliche Methoden, um den Schwerpunkt berechnen zu können. Eine dieser Methoden basiert auf der Position unterschiedlicher Körpersegmente, eine andere Methode beinhaltet Berechnungen aufgrund Messungen der Auflagekräfte auf den Boden.

In Zukunft werden wir diese Berechnungen auf verschiedene Gangarten und Lektionen anwenden, wenn das Pferd mehr und mehr versammelt wird. Die Ergebnisse werden nicht nur die Gewichtsverteilung auf die Vor- und Hinterhand anzeigen, sondern sie erlaubt uns die Auswirkung der Hankenbeugung, die Aktivität der Hinterhand und die Aufrichtung der Vorhand in der gesamten Beeinflussung der Balance zu bestimmen.

Gehen wir zurück zu dem stehenden Pferd, bei welchem die Schwerpunktlinie innerhalb der Unterstützungsbasis fällt, das Pferd ist in einer ausbalancierten Position. Wir sagen dem, es ist in einem statischen Gleichgewicht, was heisst, es kann diese Position halten, ohne umzufallen. In technischer Sprache würde man sagen, das Resultat der wirkenden Kräfte auf den Körper ist Null. Faktoren, welche diese Stabilität beeinflussen sind:

  • Die Unterstützungsbasis, welche von der Anzahl der Hufe in Kontakt mit dem Boden abhängt
  • Die Höhe des Schwerpunktes (Stabilität wird verringert, je höher der Schwerpunkt ist)
  • Die Weise, mit welcher das Gewicht auf die stützenden Hufe verteilt wird – je näher der Schwerpunkt zu dem Rand der Unterstützungsbasis liegt, desto weniger stabil ist das Pferd

Wenn das stehende Pferd ein Bein anhebt, z.B. damit der Hufschmied daran arbeiten kann, muss das Pferd seine Balance so verschieben, dass der Schwerpunkt nun in das Dreieck der Unterstützungsbasis fällt. Die Alternative wäre für das Pferd, sich entweder auf den Hufschmied zu lehnen, welcher nun als zusätzliches Bein gebraucht wird und so die Unterstützungsbasis wieder vergrössert oder umzufallen.

In Bewegung haben wir eine andere Situation. Das Pferd ist in einem dynamischen Gleichgewicht, was heisst, die Balance wird durch den Vorteil der Vorwärtsbewegung beibehalten. Obwohl manchmal nur drei, zwei, eines oder gar keines der Hufe auf dem Boden ist kann das Pferd die Balance beibehalten, weil wenn sein Körper immer wieder in Richtung des Schwerpunktes fällt, ein anderes Bein auf den Boden platziert wird und damit das Gewicht „auffängt“, den Körper stützt und diesen nach vorne stösst. Dieser Vorgang wiederholt sich bei jeder Beinbewegung.

Je schneller sich das Pferd fortbewegt, desto mehr ist es auf das dynamische Gleichgewicht angewiesen und desto weniger braucht es das statische Gleichgewicht. Umgekehrt, je langsamer die Fortbewegung, desto grösser muss die Unterstützungsbasis sein, um den Verlustes des dynamischen Gleichgewichtes auszugleichen. Dies wird erreicht, indem mehr Füsse Kontakt mit dem Boden aufnehmen. Im Schritt zum Beispiel hat das Pferd im verlängerten Schritt genug Vorwärtsbewegung, dass die abwechselnden Stützphasen zwischen zwei und drei Hufen das Pferd in guter Balance hält. Im versammelten Schritt ist die Geschwindigkeit langsamer und die Phasen, wo drei Hufe stützen werden länger, während die Phasen, wo nur zwei Hufe stützen werden kürzer als im verlängerten Schritt. In der Schritt Pirouette ist es sogar noch schwieriger für das Pferd, die Balance zu behalten. Die Zeit, in welcher der einzelne Huf Kontakt zum Boden aufnimmt, wird länger, dies gilt besonders für den inneren Hinterhuf, um welchen die Drehung ausgeführt wird.

Ein einfaches Beispiel, um das Konzept der Balance zu verstehen, ist das Fahrradfahren. Wenn man in angemessenem Tempo fährt, ist es einfach, die Balance zu behalten. Je mehr man aber bremst und langsamer geht, desto schwieriger ist es, diese Balance zu behalten. Wenn das Fahrrad anhält, werden die meisten von uns auf eine Seite kippen und einen Fuss auf den Boden stellen, was die Unterstützungsbasis sofort erhöht. Ähnlich geht es unseren Pferden. Im Galopp können sie problemlos auch nur ein oder zwei Beine am Boden haben, aber je langsamer es vorwärts geht, desto mehr Beine möchten den Kontakt zum Boden aufnehmen.

Offensichtlich ist Balance ein wichtiger Faktor in der Leistung von Dressurpferden. Ausbildung spielt eine grosse Rolle in der Entwicklung von Balance. Dies beinhaltet, dass das Pferd lernt, seinen Schwerpunkt so zu verlagern, dass dieser sich in geeigneter Lage in Beziehung zu seiner Unterstützungsbasis befindet. Unsere Forschung soll zu einem besseren Verständnis beitragen, wie das Pferd genau dies erreichen kann.