Die Schwebephase und die Piaffe

von Dr. Hilary Clayton

erschienen im "Dressage & CT", August 1998

(Übersetzung Jenny Neuhauser)

Im ersten Artikel über die Schwebephase, wurde diese definiert als Zeitperiode, wo sich keines der vier Pferdebeine am Boden befindet. Die Schwebephase ist charakteristisch für einige Gangarten: Im Trab gibt es zwei Schwebephasen in jeder kompletten Sequenz, während ein Galoppsprung nur eine Schwebephase hat. Andere Gangarten, wie der Schritt, haben gar keine Schwebephase.

Vor einer Weile wurde von zwei unterschiedlichen Studien des McPhail Dressage-Labors in Michigan, USA, und des Forschungsteams um Mikael Holmstrom in Schweden berichtet, dass die Piaffe keine Schwebephase hat. Dies hat eine erhebliche Diskussion, um nicht zu sagen Zweifel, in gewissen Kreisen ausgelöst. Teil der Verwirrung welche Gangarten eine Schwebephase haben oder nicht, liegt sicherlich in der verwendeten Terminologie. In der biomechanischen Definition von Schwebe (engl. suspension) haben keine Hufe Kontakt zum Boden. Jedoch werden in der Dressurwelt häufig andere Eigenschaften in der Bewegung mit Schwebephase assoziiert. Eine ist z.b. die auf und ab Bewegung des Rumpfes vom Pferd bei jedem Schritt, Tritt oder Sprung. Bei den gesprungenen Gangarten wird diese Bewegung bei einer Verstärkung erhöht, wenn der Körper in der Schwebephase sich nach oben hebt und in der stützenden Phase nach unten sinkt. Bei gelaufenen Gangarten wird der Körper beim Transport über das stützende Bein angehoben und sinkt herunter, wenn das Gewicht auf das gegenüberliegende Bein verlagert wird. In diesem Artikel wird der Begriff Rumpf-Schwingung (engl. trunk oscillation) benutzt, um diese auf und ab Bewegung des Pferdekörpers von der korrekten Schwebephase abzugrenzen.

Ein anderer möglicher Grund für eine Verwechslung ist die Beschreibung der Beine in der Hangbeinphase. Im Schritt, Trab und Galopp schwingt der Huf in einem gleichmässigen Bewegungsablauf vom Abfussen bis zum Auffussen durch. In der Passage und Piaffe wird der Huf angehoben und einen Moment in dieser angehobenen Position gehalten. Dies macht diese Lektionen so majestätisch. Obwohl der Huf in der Luft hängt, ist dies nicht vergleichbar mit der biomechanischen Schwebephase. In diesem Artikel nennen wir diese Bewegung Anhebung (engl. hovering).

Die Passage wird allgemein mit einer verlängerten Schwebephase und einer starken Schwingung des Rumpfes charakterisiert. Die Piaffe beinhaltet ein offensichtliches Anheben der Beine und bei Pferden, die gut durch den Rücken arbeiten auch eine Schwingung im Rumpf, aber die Piaffe hat keine Schwebe (Suspension). Nach der Analyse von Zeitlupen-Videos von allen Medaillen-Gewinnern der Olympischen Spiele in Barcelona und Atlanta, plus einer grossen Anzahl von gut ausgebildeten Andalusiern und Lipizzanern, kann ich das mit grosser Überzeugung sagen. Alle diese Pferde vollführen die Piaffe als eine gelaufene Gangart, ohne einen kurzen Zeitabschnitt, wo alle vier Hufe in der Luft sind. Während jedem Tritt wird der Rumpf angehoben, wenn das Gewicht von einem diagonalen Beinpaar zum anderen verlagert wird und sinkt wieder herunter, wenn das neue Beinpaar das Gewicht aufnimmt.

Piaffensequenz des Wechsels von einem diagonalen Beinpaar zum anderen (3 Bilder links) und der Moment, in welchem die Beine am höchsten Punkt in der Luft sind (Bild rechts). Olympiasiegerin von 1996 Isabell Werth mit Gigolo FRH.

Piaffensequenz des Wechsels von einem diagonalen Beinpaar zum anderen (3 Bilder links) und der Moment, in welchem die Beine am höchsten Punkt in der Luft sind (Bild rechts). Olympiasiegerin von 1996 Isabell Werth mit Gigolo FRH.

Man kann folgende Übung selber mal ausprobieren, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie ein Pferd piaffiert:

Steh aufrecht auf dem linken Bein und dann geh mit diesem auf die Zehenspitzen. Wenn die höchste Position erreicht ist, lass deine rechten Zehen langsam auf den Boden sinken und verlagere dein Gewicht von links nach rechts. Lass die rechte Ferse langsam auf den Boden sinken, während sich dein Knie- und Hüftgelenk beugt. Dann die Bewegung zurück, sich durch die Hüfte, das Knie und Fussgelenk aufrichten bis man zurück auf der Zehenspitze ist, dann weich das Gewicht wieder auf die linken Zehen verlagern. Diese Sequenz wird wiederholt. Anfänglich hat man wohl Balance-Probleme (wie die Pferde auch) und es ist schwierig das Gewicht weich zu verlagern, aber nur weiterüben, bis die Bewegung zu fliessen anfängt. Dies ist vergleichbar mit der Bewegung in der Piaffe.

Wenn man immer noch Schwierigkeiten hat, die Vorstellung zu akzeptieren, dass die Piaffe eine schwebelose Lektion ist, kann man Videos in Superzeitlupentempo abspielen lassen. Wenn Sie eine korrekte Piaffe (und nicht halbe Tritte) finden, die eine wahrhaftige Schwebephase hat, dass heisst alle vier Hufe ganz klar weg vom Boden, schicken Sie mir bitte eine Kopie des Videos. Noch ein kleiner Kommentar zu dem Olympiapferd Rembrant, der gerne eine ganz kleine Schwebe bei jeweils einem diagonalen Beinpaar gezeigt hatte. Aber dies war auch immer wieder die Kritik an Rembrants Piaffe, dass es eher ein Trab auf der Stelle und keine ganz korrekte Piaffe war.

Die FEI Regeln beschreiben die Piaffe als “eine höchst versammelte, kadenzierte und erhabene diagonale Bewegung“. Sie unterscheidet sich von der Beschreibung der Passage, welche ein „gemessener, stark versammelter, sehr erhabener und kadenzierter Trab“ ist. Dies lässt auchdie Möglichkeit offen, dass die Piaffe keine getrabte Lektion ist. Jedoch wird auch bemerkt, dass bei der Piaffe „jedes diagonale Beinpaar mit einer regelmässigen Kadenz und einer leicht verlängerten Schwebephase abwechselnd angehoben und wieder aufgesetzt wird.“ Im diesem Kontext, ist es wahrscheinlich, dass hier mit Schwebephase eigentlich die anhebende Bewegung der Beine gemeint ist.

Die Vorstellung, dass die Piaffe eher eine gelaufene als eine gesprungene Lektion ist, ist nicht neu. Im Regelbuch der deutschen FN wird der Fakt angemerkt, dass es in der Piaffe keine Schwebephase gibt und klassische Zeichnungen der Piaffe von der Spanischen Hofreitschule in Wien zeigen auch eine gelaufene Version der Lektion. 

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Schwebephase eine wesentliche Eigenschaft des Galopps, Trabs und der Passage ist. In der Piaffe jedoch gibt es keine Schwebephase und sollte deshalb auch als gelaufene Gangart klassifiziert werden. Dies ist einer der Unterschiede zwischen der Piaffe und anderen diagonalen Gangarten (Trab und Passage) und es ist auch einer der Gründe, warum die Piaffe vielleicht sogar als eine eigene Gangart angeschaut werden könnte.