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Pferderücken

Pferderücken

Die Mysterien des Pferderückens

von Dr. Hilary Clayton

erschienen im Magazin "Dressage Today", Februar 1999

(Übersetzung Jenny Neuhauser)

Als Dressurreiter sind wir uns alle sicher der Wichtigkeit der Bewegungen der Wirbelsäule des Pferdes sehr bewusst. Als Forscherin möchte ich immer auf dem neuesten Stand des Wissens über die Wirbelsäulenmechanik sein. In Europa sind mindestens drei Forschungsgruppen daran, den Pferderücken zu erforschen und in diesem Artikel werde ich Ihnen einige Resultate vorstellen. Zuerst jedoch ein kurzer Blick auf die Anatomie der Wirbelsäule des Pferdes.

Pferde haben ungefähr 56 Wirbel, welche die unterstützende Grundstruktur für Hals, Rücken und Schweif bilden. Im Hals gibt es 7 zervikale Wirbel, im Rumpf (Widerrist und Sattelregion) sind 18 Brustwirbel, in der Lende 6 sind lumbale, in der Kruppe sind 5 sakrale und in der Schweifregion sind 20 caudale Wirbel (siehe Diagramm). Bei den Bandscheiben zwischen den benachbarten Wirbeln ist immer ein wenig Bewegung möglich und die Summe all dieser kleinen Bewegungen bestimmt die äusserliche Form von Hals und Rücken des Pferdes. Je nach Lage variiert das Ausmass der möglichen Bewegung sehr stark.

A-O: Atlanto-Okzipitalgelenk zwischen dem Schädel und dem ersten Halswirbel. C-T: Zervikothorakales Gelenk zwischen dem letzten Hals- und dem ersten Brustwirbel. T-L: Thorakolumbales Gelenk zwischen dem letzten Brustwirbel und dem ersten Lendenwirbe…

A-O: Atlanto-Okzipitalgelenk zwischen dem Schädel und dem ersten Halswirbel. C-T: Zervikothorakales Gelenk zwischen dem letzten Hals- und dem ersten Brustwirbel. T-L: Thorakolumbales Gelenk zwischen dem letzten Brustwirbel und dem ersten Lendenwirbel. L-S: Lumbosakrales Gelenk zwischen dem letzten Lendenwirbel und dem Kreuzbein, welches in dieser Grafik hinter den Beckenknochen versteckt ist.

Der Pferdehals ist in alle Richtungen sehr mobil, was sowohl für das Grasen als auch für das Kratzen, Fliegenverscheuchen und andere Verhaltensmuster wichtig ist. Der andere bewegliche Teil ist der Schweif, welcher als Insektenschutz und Indikator für Irritation oder Unbehagen dient. Der „Rücken“ beinhaltet Brustkorb, Lende und Kruppe und ist eher für Stabilität als Flexibilität gebaut. Dies ist für den sicheren Anschluss von Vorder- und Hinterhand wichtig und kann die Antriebskraft nach vorne der Hinterhand übertragen. Obwohl zwischen den einzelnen Wirbeln nur wenig Bewegung möglich ist, ergibt die Summe eine beträchtliche Bewegungsmöglichkeit des gesamten Rückens.

Wir werden uns auf die Beugung (Flexion) und Streckung (Extension) der Wirbelgelenke konzentrieren, welche das Runden oder Durchdrücken von Hals oder Rücken ermöglichen. Studien an toten Pferdekörpern haben die maximale Beugungs- und Streckungsfähigkeit an jedem einzelnen Wirbelgelenk gemessen (siehe Grafik). Das Atlanto-Okzipitalgelenk, welches zwischen dem Schädel und dem ersten Halswirbel ist, erlaubt Beugung und Streckung in einem Bereich von fast 90 Grad. Die weiteren Halswirbel sind auch alle ziemlich beweglich und erlauben einen Bewegungsradius von ungefähr 15 bis 35 Grad, was immer noch einiges mehr ist als wir benötigen, um den Pferdehals zu runden.

Das erste Brustwirbelgelenk, gerade vor dem Widerrist, hat einen Bewegungsradius von ungefähr 10 Grad, aber der Rest des Rückens ist viel weniger beweglich. Im Widerrist gibt es nicht mehr Bewegung als ungefähr 1 Grad in jedem Gelenk. Der Widerrist muss die Stabilität der Vorhand gewährleisten und die Übertragung der Kräfte von der Vorhand hebt den Widerrist und die Vorhand als Ganzes an. In der Sattellage hat jedes Gelenk ungefähr 3-4 Grad Bewegungsmöglichkeit, was genug ist, um den Effekt zu sehen und fühlen, wenn das Pferd unter dem Reiter den Rücken wölbt oder durchdrückt. Das lumbosakrale Gelenk, zwischen dem letzten Lendenwirbel und dem fest zusammengewachsenen Kreuzbein ist untypisch, weil es beträchtlich mehr Bewegung erlaubt mit ungefähr 30 Grad Beugung und Streckungsmöglichkeit. Dieses Gelenk erlaubt dem Becken vorwärts zu rotieren und bringt die Hinterhand unter das Pferd, was für die Versammlung so wichtig ist.

Manchmal sind Bewegungen in einem Bereich der Wirbelsäule zusammenhängend mit der Bewegung in einem anderen Bereich. Beispielsweise wenn das Pferd den Kopf und Hals senkt, wird der Rücken gewölbt und umgekehrt, wenn der Kopf angehoben wird, wird der Rücken durchgedrückt. Um das Runden im Pferderücken zu maximieren sollte der Hals nicht nur tief sondern auch etwas gerundet (Beugung des Halses) sein und nicht nur tief und ausgestreckt. Das erklärt, warum das Arbeiten in einer vorwärts-abwärts Haltung gut ist, um die Rückenlinie zu dehnen.

Wenn das Pferd ohne Reiter naturgegeben trabt, schwingt der mittlere Teil seines Rückens jeweils zweimal auf und ab innerhalb jedes Trittes. Er wölbt sich in der Schwebephase und hängt etwas durch, wenn die diagonalen Beinpaare das Gewicht aufnehmen. Das lumbosakrale Gelenk schwingt auch im Rhythmus jeden Trittes. Es ist maximal gerundet, wenn das Hinterbein vorschwingt und flacht sich ab, wenn das Hinterbein in der Schubphase nach hinten stösst. Angenommen der Rücken des Pferdes schwingt in der gleichen Art, wenn es geritten wird, kommt der Rücken in der Schwebephase unter dem Sattel hoch und nimmt Kontakt zum Reitersitz auf und flacht dann in der Abwärtsbewegung wieder etwas ab.

Die Muskeln kontrollieren die Rückenbewegungen so, dass die Beugemuskulatur (Bauchmuskeln) dann aktiv sind, wenn die Rückenlinie gedehnt wird und die Streckmuskeln (Rückenmuskulatur entlang der Wirbelsäule) dann aktiv sind, wenn der Rücken flach wird. Das tönt vielleicht etwas widersprüchlich zu dem, was man erwarten würde. Es zeigt aber, dass diese Bewegungen zwischen den Rückenwirbeln durch die Vorwärtsbewegung erzeugt wird und durch die Rückenmuskulatur kontrolliert wird. In anderen Worten es sind nicht die Rückenmuskeln, welche den Rücken wölben, sondern sie kontrollieren das Ausmass des Wölbens und des Flachwerdens.

Was für uns jetzt wichtig zu wissen ist, wie sich die Bewegungen und die Muskelaktivität durch Ausbildung verändert, wenn das Pferd lernt in einer runderen Form sich zu bewegen und welche Muskeln gebraucht werden, um Versammlung und Selbsthaltung zu erzeugen.

 
 

Versammlung

Versammlung

Komponenten der Versammlung

von Dr. Hilary Clayton

erschienen im Magazin "Dressage Today", Oktober 2007

(Übersetzung Jenny Neuhauser)

Original-Artikel als PDF

Die Versammlung ist die Spitze der Ausbildungsskala – das ultimative Ziel bei der Ausbildung eines Dressurpferds. Gemäss der FEI-Regeln (Fédération Equestre Internationale) für Dressur sind die Ziele der Versammlung: die Balance und das Gleichgewicht (Equilibrium) des Pferdes zu entwickeln und verbessern; die Fähigkeit, die Hinterhand zu beugen und aktivieren zu entwickeln und verbessern und damit die Leichtigkeit und Beweglichkeit der Vorhand zu erleichtern; die Durchlässigkeit, Rittigkeit und Selbsthaltung des Pferdes zu verbessern. Eines der Forschungsprojekte, welche Hilary Clayton am McPhail Equine Performance Center leitet, untersucht, wie Pferde Versammlung erreichen und welche Muskeln gestärkt werden müssen, um die Ausführung der Bewegungen in der Versammlung und Selbsthaltung zu erleichtern. In diesem Artikel wird das Verhältnis zwischen den technischen Anforderungen für die Versammlung und den damit verbundenen biomechanischen Charakteristiken beleuchtet.

DIE BEZIEHUNG ZWISCHEN KRÄFTEN UND BEWEGUNGEN

Um die Versammlung zu verstehen, müssen wir zuerst die fundamentale Beziehung zwischen Kräften und Bewegungen klären. Die Fortbewegung des Pferdes entsteht dadurch, dass die Hufe gegen den Boden stossen und damit eine Kraft produzieren; ohne diese Kraft gibt es keine Bewegung. Diese Kräfte bestimmen die Geschwindigkeit und die Richtung der Bewegung: je stärker die Hufe schieben, desto schneller bewegt sich der Körper fort.

Das Pferd bewegt sich in die gegensätzliche Richtung, wie die Hufe schieben:

  • Stösst der Huf nach unten, wird der Körper in eine erhabene Schwebephase aufwärts gestossen
  • Schiebt der Huf nach hinten, wird der Körper nach vorne in eine kraftvolle Verstärkung getrieben
  • Der Huf schiebt nach rechts, um eine Wendung oder eine Seitwärtsbewegung (z.B. Traversale) nach links auszuführen.

Im McPhail Center kann mittels spezieller Messplatten die Kraft, mit welcher der Huf auf den Boden in den verschiedenen Gangarten und Lektionen drückt, gemessen werden. Diese sogenannten „Kraftplatten“ sind ca. 60cm x 120cm gross, bestehen aus Metall, sind mit einer rutschfesten Gummimatte bezogen und in einer gummierten Laufbahn eingebettet. Wird das Pferd nun über diese Messplatten geritten, kann gemessen werden, wie sich der Schub gegen den Boden anpassen muss, um die Länge oder Erhabenheit eines Tritts zu ändern.

Etwas was wir aus unseren Studien gelernt haben, ist der entscheidende Unterschied, wie die Vorder- und Hintergliedmassen arbeiten. Die Hintergliedmassen sind der Motor und sind vorwiegend für die Fortbewegung zuständig. Der Rücken übermittelt die vorwärts treibenden Kräfte nach vorne zur Vorderhand. Die Vorderbeine sind ausgelegt, die Geschwindigkeit zu kontrollieren, den Körper zu wenden und die Balance des Pferdes abzugleichen. Wenn der Versammlungsgrad zunimmt und die Selbsthaltung des Pferdes verfeinert wird, werden auch die Rückenmuskeln beansprucht, um die Vorhand zu erleichtern. Alle Körperteile müssen harmonisch zusammenarbeiten, um ein ausgewogenes Bild zu erzielen.

Die unterschiedlichen Funktionen von Vor- und Hinterhand sind auch durch ihre unterschiedlichen Bauweisen und Winkelungen der Gelenk ersichtlich. Die Winkelung des Knie- und Sprunggelenks lässt eine Beugung zu, wenn das Hinterbein Gewicht aufnimmt und streckt sich dann kraftvoll, um die Antriebskraft zu entwickeln. Im Gegensatz dazu liegt der Vorderarm und das Röhrbein in der gewichtsaufnehmenden Phase gerade auf einer Linie und wirkt so wie eine Stützstrebe für die Schulter. Eine interessante anatomische Eigenschaft des Pferdes ist, dass es kein Schlüsselbein besitzt. Demzufolge gibt es keine knöcherne Verbindung zwischen den Vordergliedmassen und dem restlichen Körper. Stattdessen hängt der Rumpf zwischen den Schulterblättern in einer Schlinge aus kräftigen Muskeln.

Die Muskeln dieser Brustschlinge bestehen aus dem Serratus Ventralis und den pektoralen Muskeln, welche von der inneren Fläche des Schulterblattes und Oberarmknochenzu den Rippen und dem Brustbein verlaufen. Wenn sich diese Muskeln entspannen und dehnen, hängt der Brustkorb in einer tieferen Position zwischen den Schultern. Folglich sinkt der Widerrist etwas hinunter und die Oberlinie des Pferdes erscheint etwas bergab zu verlaufen. Wenn die Muskeln dieser Schlinge sich jedoch zusammenziehen und verkürzen, wird der Brustkorb und somit der Widerrist angehoben und lässt die Oberlinie des Pferdes bergauf verlaufen. Die Kontraktion dieser Brustschlingenmuskeln ist ein entscheidender Anteil des Mechanismus derSelbsthaltung, welcher den aufrichtenden Effekt der Vorhand von den Schultern via den Schlingenmuskeln zum Brustkorb und Widerrist überträgt. Das Dressurpferd muss also lernen, diese Muskeln zu aktivieren, um eine Aufrichtung zu erzielen.

Foto A. Bronkhorst

Foto A. Bronkhorst

 

Ein versammeltes Pferd mit Hankenbeugung und Aufrichtung

Das Dressurpferd muss lernen, die Haltemuskulatur zu aktivieren, um eine Aufrichtung zu erreichen. Die Muskeln die den Brustkorb, wie in einer Schlinge halten, sind der Serratus Ventralis (1) und die pektoralen Muskeln (2), welche von der Innenseite des Schulterblattes (3) und des Humerus (4) zu den Rippen (5) und des Brustbeins (6) gehen. Wenn diese Muskeln entspannen und sich längen, hängt der Brustkorb in einer tieferen Position zwischen den Schultern. Dies hat zur Folge, dass der Widerrist heruntersinkt und die Oberlinie des Pferdes abwärts wirkt. Wenn diese Brustschlingen-Muskeln sich zusammenziehen und verkürzen, wird der Brustkorb getragen, was wiederum den Widerrist anhebt und der Oberlinie die Aufrichtung verleiht. Die Kontraktion dieser Haltemuskulatur ist ein Kernpunkt des Selbsthaltungs-Mechanismus, welcher den aufrichtenden Effekt der Vorhand von der Schulter via der Haltemuskulatur von Brustkorb und Widerrist transportiert (7).

 

BEWEGUNGSABLAUF DER GLIEDMASSEN WÄHREND EINES SCHRITTES

Jeder komplettierte Schritt einer einzelnen Gliedmasse besteht aus einer Stützphase, wenn der Huf auf dem Boden ist, sowie einer Beugephase, während der Huf nach vorne schwingt. Unsere Augen werden naturgemäss auf die vorschwingende Beugephase der Bewegung gelenkt, wenn sich die Gelenke beugen, um den Huf vom Boden anzuheben, und wieder strecken, wenn das Bein nach vorne schwingt. Die Bewegung der Beine während der Beugephase gibt dem Schritt Ausdruck, besonders, wenn das Bein weit nach vorne greift.

In der Stützphase schiebt der Huf gegen den Boden, um den Körper nach vorne zu bewegen. Die Bewegungen der Gliedmasse während dieser Stützphase ist sogar wichtiger, um die Qualität des Ganges zu beurteilen, als die Bewegung während der Beugephase. Kurz nachdem der Huf auf dem Boden angekommen ist, müssen sich die Gelenke beugen, um die Erschütterungen aufzufangen. Pferde unterscheiden sich darin, wie gut sich die Hüfte, Knie und Sprunggelenke beugen können und wie lange die Beugung aufrechterhalten werden kann. Idealerweise möchte man eine starke Beugung während des mittleren Teils der Stützphase sehen. Diese Beugung wird auch „Hankenbeugung“ genannt. Dieser Ausdruck bezieht sich auf die kleineren Winkel am Hüft-, Knie- und Sprunggelenk. Bei der Hankenbeugung wird das Hinterbein als Ganzes verkürzt bzw. komprimiert und die Kruppe abgesenkt.

Im letzteren Teil der Stützphase, werden das Hüft-, Knie- und Sprunggelenk wieder gestreckt, wenn der Huf nach hinten schiebt, um die Antriebskraft zu generieren. Je kräftiger die Muskeln sind, desto stärker können sie schieben und desto schneller können sie die nötige Kraft generieren, so dass der Huf weniger Zeit am Boden verbringt. Demzufolge braucht der Huf je stärker die Muskeln werden desto weniger Zeit am Boden, um die Impulsion zu entwickeln, die Stützphase wird kürzer, die Bewegung wirkt erhabener. Besonders wichtig wird dies in stark versammelten Lektionen, wie Pirouetten und Piaffen, wenn das Pferd noch nicht kräftig genug ist und am Boden zu kleben scheint.  Der Ausdruck das Pferd „hinten aktiver“ zu machen, meint nicht eine Erhöhung des Tempos, sondern ist eine Aufforderung, den Huf schneller vom Boden abzuheben. Um dies zu erreichen, müssen die Muskeln kräftig genug sein, um stärker zu schieben und die nötige Kraft schneller zu generieren.

Dem Beitrag der Vorhand für die Erreichung der Versammlung wurde bisher meist weniger Beachtung geschenkt als der Hinterhand, ist aber mindestens so wichtig wie diese. Die verbesserte Schubkraft der immer kräftiger werdenden Hinterhand neigt dazu, die Balance des Pferdes nach vorne auf die Vorhand zu schieben. Das Ausmass der Antriebskraft der Hinterhand muss also durch die Bewegung der Vorhand so ausbalanciert werden, dass der Wiederrist aufwärts und zurückgestossen wird, um zu verhindern, dass das Pferd über die Vorhand wegrollt. Ohne diesen ausbalancierenden Effekt der Vordergliedmassen würde eine stärkere Schubkraft der Hinterhand das Pferd mehr auf die Vorhand bringen.

Der Rücken des Pferdes ist auch essentiell in der Formel für die Selbsthaltung. Der Rücken als Ganzes muss genügend stabil sein, damit die Antriebskräfte überhaupt von der Hinterhand zur Vorhand transportiert werden können. Wenn der Rücken gummiartig weich wäre, wäre dies nicht sehr effektiv für eine Kraftübertragung. Besonders wichtig für die Stabilisierung ist eine Gruppe kurzer (multifidus) Muskeln, welche angrenzend an die Wirbelsäule liegen. Je weiter das Pferd in der Ausbildung voranschreitet und je besser die Selbsthaltung wird, desto mehr helfen die langen Rückenmuskeln (Longissimus), welche unter der Haut links und rechts neben der Wirbelsäule liegen, die Vorhand anzuheben. Besonders offenkundig wird dies in den Pirouetten und Piaffen, Lektionen welche einen hohen Versammlungsgrad und Leichtheit in der Vorhand, aber wenig Vorwärtsbewegung verlangen. Diese anhebende Funktion der Rückenmuskulatur wurde klar ersichtlich in der Forschung zur Levade, bei welcher die Vorhand von hinten angehoben wird, anstatt sich vom Boden wegstösst. Die langen Rückenmuskeln halten die Position in der Levade aufrecht, was eine ungeheure Kraft beansprucht.

Der Kopf und Hals machen ungefähr 10 Prozent des gesamten Körpergewichts aus, was ungefähr 55-60kg bei einem Warmblut ausmacht. Bewegungen des Halses haben einen grossen Effekt darauf, wie die Hufe gegen den Boden stossen. Dies ist z.B. gut ersichtlich, wenn das Pferd versucht ein schmerzendes Bein in der gewichtsaufnehmenden Phase durch eine stark nickende Bewegung zu entlasten: Der Kopf und Hals werden gesenkt, wenn das gesunde Bein Gewicht aufnimmt, und dann hochgehoben, wenn das gesunde Bein abfusst. Damit wird die Kraft gegen den Boden während des Abfussens verstärkt, das gesunde Bein drückt stärker vom Boden ab und übernimmt so einen grösseren Anteil,  den Körper anzuheben, was wiederum die Kräfte auf das schmerzende Bein verringert. Dressurpferde, welche noch nicht kräftig genug sind die langen Rückenmuskeln mitzubenützen, um die Vorhand in den Pirouetten oder Piaffen anzuheben, kompensieren dies manchmal durch rhythmisches Kopfnicken in der Abfussphase. In der Pirouette im Galopp z.B. wird der Kopf zeitgleich mit dem führenden Vorderbein angehoben oder in der Piaffe, wenn das schwächere Vorderbein abfusst. In beiden Beispielen wird der Aufwärtsschwung des Kopf und Halses dazu benötigt, um die Vorhand anzuheben.

ANTRIEBSKRAFT UND TRAGFÄHIGKEIT

Am Anfang der Ausbildung liegt der Fokus darauf, dem Pferd beizubringen sich im Takt rhythmisch vorwärts zu bewegen und die Muskulatur welche die Gelenke der Hinterhand strecken zu stärken, um die Schubkraft der Hinterhand zu verbessern. Diese Muskeln sind verantwortlich, um über Schubkraft (forward propulsion) Geschwindigkeit und Schrittlänge zu regulieren, und durch die Aufwärtskraft (upward propulsion die Erhabenheit des Ganges und das Ausmass der Schwebephase zu bestimmen.

Foto A. Bronkhorst

Foto A. Bronkhorst

 

Zu Beginn der Ausbildung wird der Fokus darauf gelegt, das Pferd im Takt vorwärts zu reiten und die Schubkraft der Hinterhand zu verbessern, indem die Muskeln gestärkt werden, welche die Gelenke beim Abfussen strecken.

 

Je stärker die Hinterhand schiebt, desto grösser ist die Gefahr, dass das Pferd auf die Vorhand gestossen wird. Deshalb ist es wichtig, im Äquivalent auch die Muskeln der Vorderbeine zu kräftigen, damit die Vorhand angehoben und das Pferd ausbalanciert werden kann.

Wenn die Muskeln kräftig genug sind, um die nötige Schubkraft bereitzustellen, wechselt der Fokus auf die Entwicklung der Fähigkeit, die Hintergliedmasse zu tragen. In dieser Phase der Ausbildung, schiebt die Hinterhand den Körper nicht nur vorwärts und aufwärts, sondern beugt die Hanken während der lastaufnehmenden Phase vermehrt, welche eine andere Art muskulärer Kraft benötigt. Gleichzeitig hebt die Vorhand die Schultern an und die Brustschlingenmuskeln übertragen diese Aufrichtung auf den Widerrist. Das Ergebnis der sich senkenden Hinterhand und des sich anhebenden Widerristes ist eine Bergauftendenz des gesamten Pferdes: die Versammlung.

Schwebephase 1

Schwebephase 1

Die Schwebephase: eine biomechanische Definition

von Dr. Hilary Clayton

erschienen im "Dressage & CT", Juli 1998

(Übersetzung Jenny Neuhauser)

Die Schwebephase ist ein vielfältig benutzter Begriff heutzutage, speziell wenn es um eine Beschreibung von Schwung in der Piaffe geht. In diesem Artikel wird die biomechanische Definition von Schwebephase (Suspension) erklärt, welche Gangarten eine Schwebephase haben und welche nicht und wie deren Vorhandensein oder Abwesenheit Pferd und Reiter beeinflusst. In einem weiteren Artikel wird die Kontroverse, wie das mit der Schwebephase in der Piaffe aussieht, genauer erläutert.

Beginnen wir mit einer Definition. Aus biomechanischer Sicht ist die Schwebephase (Suspension) diejenige Phase, in welcher das Pferd vollkommen in der Luft ist und keine der Gliedmassen in Kontakt mit dem Boden ist. Normalerweise hat ein Bein bei jedem Schritt, Tritt oder Sprung eine Stützbeinphase, in der es auf dem Boden ist und eine Hangbeinphase, wo der Huf den Kontakt zum Boden aufgibt und durch die Luft nach vorne schwingt. Die Schwebephase beinhaltet, dass alle vier Beine gleichzeitig in der Hangbeinphase sind. Auf die Gänge bezogen unterscheidet die An- oder Abwesenheit der Schwebephase, ob es sich um eine gesprungene oder gelaufene Gangart handelt. Diese Unterscheidung ist rein akademisch. Wie wir später sehen werden, bewegt sich der Pferdekörper etwas anders über das Bein in einer gesprungenen als in der gelaufenen Gangart und es ist ein immenser Unterschied, wie es sich für den Reiter anfühlt, eine gesprungene oder gelaufene Gangart auszusitzen.

Foto M. Krapf: Der Schritt hat keine Schwebephase

Foto M. Krapf: Der Schritt hat keine Schwebephase

Foto T. Brechet: Die Schwebephase im Trab

Foto T. Brechet: Die Schwebephase im Trab

Foto T. Brechet: Die Schwebephase im Galopp

Foto T. Brechet: Die Schwebephase im Galopp

Der Schritt ist immer eine gelaufene Gangart und hat darum keine Schwebephase. Im Schritt hat das Pferd immer zwei oder drei tragende Beine auf dem Boden. Trab und Galopp sind gesprungene Gangarten. Der Trab hat in einer kompletten Sequenz zwei Schwebephasen, jede jeweils nach der Stützphase eines diagonalen Beinpaars. Der Galopp hat in einer kompletten Sequenz eine Schwebephase, welche auf das Abfussen des führenden inneren Vorderbeins folgt. Diese Art von Schwebe wird als gesammelte Schwebephase (gathered suspension) beschrieben, weil sich alle vier Beine unter dem Pferdekörper befinden. Andere Tiere mit einer beweglicheren Wirbelsäule, wie Hunde oder Katzen, können zwei Schwebephasen in jedem Galoppsprung zeigen: eine gesammelte Schwebephase, mit den Beinen unter dem Körper, wie beim Pferd, und eine gestreckte Schwebephase, in welcher die Beine nach hinten und vorne ausgestreckt werden. Auch Pferde können eine gestreckte Schwebephase zeigen, z.B. im gestreckten Galopp oder bei einem Sprung über ein Hindernis.

Foto J. Neuhauser: Gestreckte Schwebephase

Foto J. Neuhauser: Gestreckte Schwebephase

Foto J. Neuhauser: Gestreckte Schwebephase

Foto J. Neuhauser: Gestreckte Schwebephase

Eine allgemeine Eigenschaft von Fortbewegung (Lokomotion) ist, dass sich die Geschwindigkeit reduziert, wenn jedes Bein länger in der Stützbeinphase verbleibt und die Hangbeinphase verkürzt wird. Der Grund dafür ist, dass bei langsameren Geschwindigkeiten, das Pferd eine bessere Balance braucht. Je mehr Beine in Kontakt mit dem Boden ist, desto mehr Stabilität ist gewährleistet. Bei höheren Geschwindigkeiten kompensiert die schnellere Fortbewegung den Verlust der Stabilität. Obwohl ein normaler Trab normalerweise zwei Schwebephasen beinhaltet, kann demzufolge ein sehr langsamer Trab die Schwebephase verlieren und das Pferd läuft von einer Diagonale zur anderen. Dies ist zum Beispiel beim Jog in der Western Disziplin „Pleasure“ ersichtlich. Bei Dressurpferden wird die Schwebephase im versammelten Trab oder Galopp sehr kurz.

Die An- oder Abwesenheit der Schwebephase beeinflusst die Art und Weise, in welcher das Pferd seine Trittlänge verändert, zum Beispiel in den Übergängen von versammelten und verstärkten Gangarten. Im Schritt, wo keine Schwebephase vorhanden ist, ist die Schrittlänge abhängig davon, wie gut sich das Pferd durch den ganzen Körper dehnen und die Gliedmassen in einem weiten Bogen durchschwingen lassen kann. Der Schlüssel im Schritt ist, den Übertritt zu maximieren, ohne den Rhythmus zu stören. Im Trab und Galopp hingegen wird die Verlängerung des Trittes oder Sprunges von Versammlung zur Verstärkung in der Schwebe erlangt. Je länger das Pferd in der Luft bleibt, desto mehr Boden macht das Pferd in der Schwebephase, was einen längeren Tritt oder Sprung zur Folge hat. Die Dauer der Schwebe hängt also vor allem auch von der Höhe des Trittes bzw. Sprunges ab. Je mehr vertikale Geschwindigkeit das Pferd hat, wenn es in die Schwebe abspringt, desto länger braucht die Schwerkraft bis sie die Aufwärtsbewegung überwältigt und das Pferd wieder auf den Boden zieht. Demzufolge kann ein Pferd mit einem guten Exterieur und geeigneter muskulären Entwicklung viel Aufwärtsbewegung generieren und grosse Verstärkungen zeigen.

Die Anwesenheit von einer Schwebephase beeinflusst auch den Reiter. In Gangarten ohne Schwebe ist es einfacher, still im Sattel zu sitzen und den Bewegungen zu folgen. Sogar ein blutiger Anfänger kann im Schritt auf dem Pferd sitzen. Alle sogenannten einfachen Gangarten, wie der Tölt oder Foxtrott, sind 4-taktige Gangarten, die sich durch die fehlende Schwebephase auszeichnen und demzufolge einfach(er) zu sitzen sind. Erst die Anwesenheit von Schwebephase fordert den Reiter heraus, den Bewegungen des Pferdes in einer kontrollierten Weise folgen zu können. Der Grund warum es bei einer Verstärkung schwieriger als in der Versammlung ist, nicht im Sattel zu hopsen, wird jetzt offensichtlich: in der Verstärkung entwickelt das Pferd mehr Schwebephase in dem es sich stärker in die Luft abstösst, so dass es dem Reiter schwerer fällt, der vertikalen Bewegung zu folgen.

Schwebephase 2

Schwebephase 2

Die Schwebephase und die Piaffe

von Dr. Hilary Clayton

erschienen im "Dressage & CT", August 1998

(Übersetzung Jenny Neuhauser)

Im ersten Artikel über die Schwebephase, wurde diese definiert als Zeitperiode, wo sich keines der vier Pferdebeine am Boden befindet. Die Schwebephase ist charakteristisch für einige Gangarten: Im Trab gibt es zwei Schwebephasen in jeder kompletten Sequenz, während ein Galoppsprung nur eine Schwebephase hat. Andere Gangarten, wie der Schritt, haben gar keine Schwebephase.

Vor einer Weile wurde von zwei unterschiedlichen Studien des McPhail Dressage-Labors in Michigan, USA, und des Forschungsteams um Mikael Holmstrom in Schweden berichtet, dass die Piaffe keine Schwebephase hat. Dies hat eine erhebliche Diskussion, um nicht zu sagen Zweifel, in gewissen Kreisen ausgelöst. Teil der Verwirrung welche Gangarten eine Schwebephase haben oder nicht, liegt sicherlich in der verwendeten Terminologie. In der biomechanischen Definition von Schwebe (engl. suspension) haben keine Hufe Kontakt zum Boden. Jedoch werden in der Dressurwelt häufig andere Eigenschaften in der Bewegung mit Schwebephase assoziiert. Eine ist z.b. die auf und ab Bewegung des Rumpfes vom Pferd bei jedem Schritt, Tritt oder Sprung. Bei den gesprungenen Gangarten wird diese Bewegung bei einer Verstärkung erhöht, wenn der Körper in der Schwebephase sich nach oben hebt und in der stützenden Phase nach unten sinkt. Bei gelaufenen Gangarten wird der Körper beim Transport über das stützende Bein angehoben und sinkt herunter, wenn das Gewicht auf das gegenüberliegende Bein verlagert wird. In diesem Artikel wird der Begriff Rumpf-Schwingung (engl. trunk oscillation) benutzt, um diese auf und ab Bewegung des Pferdekörpers von der korrekten Schwebephase abzugrenzen.

Ein anderer möglicher Grund für eine Verwechslung ist die Beschreibung der Beine in der Hangbeinphase. Im Schritt, Trab und Galopp schwingt der Huf in einem gleichmässigen Bewegungsablauf vom Abfussen bis zum Auffussen durch. In der Passage und Piaffe wird der Huf angehoben und einen Moment in dieser angehobenen Position gehalten. Dies macht diese Lektionen so majestätisch. Obwohl der Huf in der Luft hängt, ist dies nicht vergleichbar mit der biomechanischen Schwebephase. In diesem Artikel nennen wir diese Bewegung Anhebung (engl. hovering).

Die Passage wird allgemein mit einer verlängerten Schwebephase und einer starken Schwingung des Rumpfes charakterisiert. Die Piaffe beinhaltet ein offensichtliches Anheben der Beine und bei Pferden, die gut durch den Rücken arbeiten auch eine Schwingung im Rumpf, aber die Piaffe hat keine Schwebe (Suspension). Nach der Analyse von Zeitlupen-Videos von allen Medaillen-Gewinnern der Olympischen Spiele in Barcelona und Atlanta, plus einer grossen Anzahl von gut ausgebildeten Andalusiern und Lipizzanern, kann ich das mit grosser Überzeugung sagen. Alle diese Pferde vollführen die Piaffe als eine gelaufene Gangart, ohne einen kurzen Zeitabschnitt, wo alle vier Hufe in der Luft sind. Während jedem Tritt wird der Rumpf angehoben, wenn das Gewicht von einem diagonalen Beinpaar zum anderen verlagert wird und sinkt wieder herunter, wenn das neue Beinpaar das Gewicht aufnimmt.

Piaffensequenz des Wechsels von einem diagonalen Beinpaar zum anderen (3 Bilder links) und der Moment, in welchem die Beine am höchsten Punkt in der Luft sind (Bild rechts). Olympiasiegerin von 1996 Isabell Werth mit Gigolo FRH.

Piaffensequenz des Wechsels von einem diagonalen Beinpaar zum anderen (3 Bilder links) und der Moment, in welchem die Beine am höchsten Punkt in der Luft sind (Bild rechts). Olympiasiegerin von 1996 Isabell Werth mit Gigolo FRH.

Man kann folgende Übung selber mal ausprobieren, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie ein Pferd piaffiert:

Steh aufrecht auf dem linken Bein und dann geh mit diesem auf die Zehenspitzen. Wenn die höchste Position erreicht ist, lass deine rechten Zehen langsam auf den Boden sinken und verlagere dein Gewicht von links nach rechts. Lass die rechte Ferse langsam auf den Boden sinken, während sich dein Knie- und Hüftgelenk beugt. Dann die Bewegung zurück, sich durch die Hüfte, das Knie und Fussgelenk aufrichten bis man zurück auf der Zehenspitze ist, dann weich das Gewicht wieder auf die linken Zehen verlagern. Diese Sequenz wird wiederholt. Anfänglich hat man wohl Balance-Probleme (wie die Pferde auch) und es ist schwierig das Gewicht weich zu verlagern, aber nur weiterüben, bis die Bewegung zu fliessen anfängt. Dies ist vergleichbar mit der Bewegung in der Piaffe.

Wenn man immer noch Schwierigkeiten hat, die Vorstellung zu akzeptieren, dass die Piaffe eine schwebelose Lektion ist, kann man Videos in Superzeitlupentempo abspielen lassen. Wenn Sie eine korrekte Piaffe (und nicht halbe Tritte) finden, die eine wahrhaftige Schwebephase hat, dass heisst alle vier Hufe ganz klar weg vom Boden, schicken Sie mir bitte eine Kopie des Videos. Noch ein kleiner Kommentar zu dem Olympiapferd Rembrant, der gerne eine ganz kleine Schwebe bei jeweils einem diagonalen Beinpaar gezeigt hatte. Aber dies war auch immer wieder die Kritik an Rembrants Piaffe, dass es eher ein Trab auf der Stelle und keine ganz korrekte Piaffe war.

Die FEI Regeln beschreiben die Piaffe als “eine höchst versammelte, kadenzierte und erhabene diagonale Bewegung“. Sie unterscheidet sich von der Beschreibung der Passage, welche ein „gemessener, stark versammelter, sehr erhabener und kadenzierter Trab“ ist. Dies lässt auchdie Möglichkeit offen, dass die Piaffe keine getrabte Lektion ist. Jedoch wird auch bemerkt, dass bei der Piaffe „jedes diagonale Beinpaar mit einer regelmässigen Kadenz und einer leicht verlängerten Schwebephase abwechselnd angehoben und wieder aufgesetzt wird.“ Im diesem Kontext, ist es wahrscheinlich, dass hier mit Schwebephase eigentlich die anhebende Bewegung der Beine gemeint ist.

Die Vorstellung, dass die Piaffe eher eine gelaufene als eine gesprungene Lektion ist, ist nicht neu. Im Regelbuch der deutschen FN wird der Fakt angemerkt, dass es in der Piaffe keine Schwebephase gibt und klassische Zeichnungen der Piaffe von der Spanischen Hofreitschule in Wien zeigen auch eine gelaufene Version der Lektion. 

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Schwebephase eine wesentliche Eigenschaft des Galopps, Trabs und der Passage ist. In der Piaffe jedoch gibt es keine Schwebephase und sollte deshalb auch als gelaufene Gangart klassifiziert werden. Dies ist einer der Unterschiede zwischen der Piaffe und anderen diagonalen Gangarten (Trab und Passage) und es ist auch einer der Gründe, warum die Piaffe vielleicht sogar als eine eigene Gangart angeschaut werden könnte.

Balance 1

Balance 1

Die Balance des Pferdes

von Dr. Hilary Clayton

erschienen im Magazin "Dressage & CT", Dezember 1998

(Übersetzung Jenny Neuhauser)

Balance ist ein Schlüsselkonzept für Reiter. Gemäss dem FEI Regelbuch ist eines der Ziele von Versammlung „die Balance und das Equilibrium (Gleichgewichtsverteilung), weiter zu entwickeln, welches durch das zusätzliche Reitergewicht mehr oder weniger verlagert wurde“. Im MacPhail Labor ist eines unserer Projekte die Untersuchung der Balance von Pferd und Reiter. Dieser Artikel wird Ihnen eine Einführung in diese Forschung und ein paar allgemeine Informationen über Balance und welche Faktoren diese beeinflussen.

Als erstes einige Definitionen:

  • Der Schwerpunkt ist ein Punkt im Körper, welcher das Gewicht des ganzen Körpers repräsentiert
  • Balance oder Equilibrium beschreibt die Stabilität des Körpers
  • Die Unterstützungsbasis ist der Bereich, welcher durch die Hufe des Pferdes, welche im Kontakt mit dem Boden sind, begrenzt wird

Das Diagramm zeigt die Lokalisation des Schwerpunktes in einem stehenden Pferd. Er liegt ungefähr zwischen der 12. und 13. Rippe, nahe einer Linie, welche die Schulter mit dem Sitzbeinhöcker des Pferdes verbindet. Er liegt demzufolge ziemlich genau unter der Position der Sitzbeinhöcker des Reiters. Um diese Lage bei dem eigenen Pferd zu finden, kann man eine Linie mit einer Kreide von der Schulter zu dem Punkt des Hinterteils zeichnen, dann von der letzten Rippe (18. Rippe) nach vorne zählen. Im Zwischenraum der 13. und 12. Rippe angelangt, kann man dieser kleinen Grube weiter zu der Kreidelinie folgen.

Grafik 1: Lage des Schwerpunkts von der Seite gesehen. Er liegt auf der Höhe der 12. bis 13. Rippe, ein bisschen unter der Linie, welche die Schulter mit dem hintersten Punkt des Gesässes verbindet.

Grafik 1: Lage des Schwerpunkts von der Seite gesehen. Er liegt auf der Höhe der 12. bis 13. Rippe, ein bisschen unter der Linie, welche die Schulter mit dem hintersten Punkt des Gesässes verbindet.

Grafik 2: Lage des Schwerpunktes von oben gesehen. Die vier Hufe bilden den Grundriss der Unterstützungsbasis, welche durch die gepunktete Linie dargestellt wird.

Grafik 2: Lage des Schwerpunktes von oben gesehen. Die vier Hufe bilden den Grundriss der Unterstützungsbasis, welche durch die gepunktete Linie dargestellt wird.

Wenn das Pferd geschlossen steht, unterstützt von allen 4 Hufen, formt die Unterstützungsbasis ungefähr ein Rechteck. Wenn nun eine senkrechte Linie vom Schwerpunkt auf den Boden gelegt würde, würde diese innerhalb dieses Rechteckes auftreffen. Jedoch liegt der Schwerpunkt nicht in der Mitte der Unterstützungsbasis. Wie man in der Grafik sehen kann, liegt es näher zur Vorhand als zur Hinterhand, was zeigt, dass die Vorhand mehr Gewicht trägt (ca. 55-60%) als die Hinterhand (ca. 40-45%). Die gewichtstragende Funktion der Vorhand zeigt sich auch in der säulenartigen Konstruktion, mit relativ wenig Winkelung in den Gelenken. Die stärker gewinkelten Gelenke der Hinterhand sind weniger gut für das Gewichttragen sondern mehr für die Antriebskraft konstruiert.

Eines der Ziele der Dressurausbildung ist, diesen Schwerpunkt näher zur Hinterhand zu bringen, so dass die Gewichtsverteilung zwischen der Vor- und Hinterhand sich gleichmässiger verteilt. Wenn die Vorhand etwas vom Gewicht erleichtert werden kann, wird sie beweglicher.

Eines der Projekte im McPhail Labor ist die Berechnung des Schwerpunktes von Pferd und Reiter in unterschiedlichen Gangarten und Lektionen und die Auswirkung des Reiters auf die Balance des Pferdes. Die Ingenieure Adam Arabian und Joel Lanovaz erforschen unterschiedliche Methoden, um den Schwerpunkt berechnen zu können. Eine dieser Methoden basiert auf der Position unterschiedlicher Körpersegmente, eine andere Methode beinhaltet Berechnungen aufgrund Messungen der Auflagekräfte auf den Boden.

In Zukunft werden wir diese Berechnungen auf verschiedene Gangarten und Lektionen anwenden, wenn das Pferd mehr und mehr versammelt wird. Die Ergebnisse werden nicht nur die Gewichtsverteilung auf die Vor- und Hinterhand anzeigen, sondern sie erlaubt uns die Auswirkung der Hankenbeugung, die Aktivität der Hinterhand und die Aufrichtung der Vorhand in der gesamten Beeinflussung der Balance zu bestimmen.

Gehen wir zurück zu dem stehenden Pferd, bei welchem die Schwerpunktlinie innerhalb der Unterstützungsbasis fällt, das Pferd ist in einer ausbalancierten Position. Wir sagen dem, es ist in einem statischen Gleichgewicht, was heisst, es kann diese Position halten, ohne umzufallen. In technischer Sprache würde man sagen, das Resultat der wirkenden Kräfte auf den Körper ist Null. Faktoren, welche diese Stabilität beeinflussen sind:

  • Die Unterstützungsbasis, welche von der Anzahl der Hufe in Kontakt mit dem Boden abhängt
  • Die Höhe des Schwerpunktes (Stabilität wird verringert, je höher der Schwerpunkt ist)
  • Die Weise, mit welcher das Gewicht auf die stützenden Hufe verteilt wird – je näher der Schwerpunkt zu dem Rand der Unterstützungsbasis liegt, desto weniger stabil ist das Pferd

Wenn das stehende Pferd ein Bein anhebt, z.B. damit der Hufschmied daran arbeiten kann, muss das Pferd seine Balance so verschieben, dass der Schwerpunkt nun in das Dreieck der Unterstützungsbasis fällt. Die Alternative wäre für das Pferd, sich entweder auf den Hufschmied zu lehnen, welcher nun als zusätzliches Bein gebraucht wird und so die Unterstützungsbasis wieder vergrössert oder umzufallen.

In Bewegung haben wir eine andere Situation. Das Pferd ist in einem dynamischen Gleichgewicht, was heisst, die Balance wird durch den Vorteil der Vorwärtsbewegung beibehalten. Obwohl manchmal nur drei, zwei, eines oder gar keines der Hufe auf dem Boden ist kann das Pferd die Balance beibehalten, weil wenn sein Körper immer wieder in Richtung des Schwerpunktes fällt, ein anderes Bein auf den Boden platziert wird und damit das Gewicht „auffängt“, den Körper stützt und diesen nach vorne stösst. Dieser Vorgang wiederholt sich bei jeder Beinbewegung.

Je schneller sich das Pferd fortbewegt, desto mehr ist es auf das dynamische Gleichgewicht angewiesen und desto weniger braucht es das statische Gleichgewicht. Umgekehrt, je langsamer die Fortbewegung, desto grösser muss die Unterstützungsbasis sein, um den Verlustes des dynamischen Gleichgewichtes auszugleichen. Dies wird erreicht, indem mehr Füsse Kontakt mit dem Boden aufnehmen. Im Schritt zum Beispiel hat das Pferd im verlängerten Schritt genug Vorwärtsbewegung, dass die abwechselnden Stützphasen zwischen zwei und drei Hufen das Pferd in guter Balance hält. Im versammelten Schritt ist die Geschwindigkeit langsamer und die Phasen, wo drei Hufe stützen werden länger, während die Phasen, wo nur zwei Hufe stützen werden kürzer als im verlängerten Schritt. In der Schritt Pirouette ist es sogar noch schwieriger für das Pferd, die Balance zu behalten. Die Zeit, in welcher der einzelne Huf Kontakt zum Boden aufnimmt, wird länger, dies gilt besonders für den inneren Hinterhuf, um welchen die Drehung ausgeführt wird.

Ein einfaches Beispiel, um das Konzept der Balance zu verstehen, ist das Fahrradfahren. Wenn man in angemessenem Tempo fährt, ist es einfach, die Balance zu behalten. Je mehr man aber bremst und langsamer geht, desto schwieriger ist es, diese Balance zu behalten. Wenn das Fahrrad anhält, werden die meisten von uns auf eine Seite kippen und einen Fuss auf den Boden stellen, was die Unterstützungsbasis sofort erhöht. Ähnlich geht es unseren Pferden. Im Galopp können sie problemlos auch nur ein oder zwei Beine am Boden haben, aber je langsamer es vorwärts geht, desto mehr Beine möchten den Kontakt zum Boden aufnehmen.

Offensichtlich ist Balance ein wichtiger Faktor in der Leistung von Dressurpferden. Ausbildung spielt eine grosse Rolle in der Entwicklung von Balance. Dies beinhaltet, dass das Pferd lernt, seinen Schwerpunkt so zu verlagern, dass dieser sich in geeigneter Lage in Beziehung zu seiner Unterstützungsbasis befindet. Unsere Forschung soll zu einem besseren Verständnis beitragen, wie das Pferd genau dies erreichen kann.

Balance 2

Balance 2

Die Auswirkung der Kopf- und Halsposition auf die Balance des Pferdes

von Dr. Hilary Clayton

erschienen im Magazin "Dressage Today", Mai 1999

(Übersetzung Jenny Neuhauser)

Reiter kennen die Wichtigkeit der Balance. Wir brauchen keine anspruchsvolle Ausrüstung, um zu erkennen, ob ein Pferd auf der Vorhand oder auf der Hinterhand läuft. Was wir aber in unserem Labor machen können, ist exakt zu messen, ob und wie das Gewicht auf der Vor- und Hinterhand getragen wird. In diesem Artikel werden wir einen Blick auf den Einfluss der Kopf- und Halsposition auf die Balance und die Gewichtsverteilung der Vor- und Hinterhand werfen.

Um die Mechanismen von Balance zu verstehen, ist es praktisch das Pferd in unterschiedliche Bereiche zu teilen: den Kopf, den Hals, den Rumpf, die vorderen Gliedmassen und die Hinteren Gliedmassen. Der Rumpfteil, welcher alle Wirbel, Rippen und Brustbein zusammen mit dem ganzen Inhalt des Brustkorbs und Bauchraumes beinhaltet, trägt mit 57% den grössten Teil des Gesamtgewichts. Jedes Vorderbein ist ungefähr 7% des Gewichts (d.h. 14% für die zwei Vorderbeine) und jedes Hinterbein ungefähr 9.5% (19% für beide Hinterbeine zusammen). Die Hinterbeine sind schwerer als die Vorderbeine, aufgrund der grossen Muskeln in der Hinterhand, was mehr Gewicht auf die Hinterhand bringt. Dies jedoch rechnet den Kopf (4%) und den Hals (6%) noch nicht mit ein. Obwohl sie nur 10% des Pferdekörpers ausmachen, beeinflussen sie aufgrund ihrer Position (Herausragen am vorderen Teil des Pferdekörpers) die Balance des Pferdes und die Gewichtsverteilung verhältnismässig stark. Das stehende Pferd trägt ungefähr 55-60% seines Gewichts auf der Vorhand und nur 40-45% auf der Hinterhand.

Gewichtsverteilung des Pferdes

Gewichtsverteilung des Pferdes

Eines der Ziele der Dressurausbildung ist, die Balance des Pferdes zu verändern und das Gewicht mehr auf die Hinterhand des Pferdes zu bringen, was der Vorhand erlaubt leichter und beweglicher zu sein. Wenn ein ausgebildetes Pferd sich in einer versammelten Haltung trägt, sind die Hanken gebeugt und der Hals aufgerichtet. Auf dem Weg, dieses Ziel zu erreichen wird das Pferd jedoch häufig in einer tieferen Haltung gearbeitet. Wir waren nun in einer ersten Studie interessiert, mehr über diese Auswirkung der Kopf-Hals-Position auf das Gleichgewicht des Pferdes herauszufinden.

In dieser Studie wurde der Einfluss auf die Kopf- und Halsposition auf die Gewichtsverteilung zwischen Vorder- und Hinterhand gemessen. Natürlich ist dies nur ein Teil in der Balance-Berechnung und es gibt weitere Komponenten, welche weiter untersucht werden müssen. In dieser Studie wurden 6 Pferde gewogen, um ihr Gesamtgewicht zu messen. Zuerst wurden die Vorderhufe auf die Gewichtsplatten, danach die Hinterhufe auf die Gewichtsplatten gestellt. Das Gewicht der Vor- und der Hinterhand wurde in drei unterschiedlichen Kopf-Halspositionen gemessen: einer neutralen Position, einer gesenkten und einer aufgerichteten Position (siehe Fotos). Für jedes Pferd wurden mehrere Messungen durchgeführt und danach den Durchschnitt berechnet.

neutrale Kopfposition

neutrale Kopfposition

gesenkte Kopfposition

gesenkte Kopfposition

aufgerichtete Kopfposition

aufgerichtete Kopfposition

Die Ergebnisse zeigen, dass wenn sich der Kopf in einer neutralen Position befindet, 58% des Gewichts auf der Vorhand und 42% auf der Hinterhand getragen werden. Wenn der Kopf und Hals gesenkt werden, verschiebt sich das Gewicht auf die Vorhand, welche bis zu 60% trägt und das Gewicht der Hinterhand reduziert sich auf 40%. Wenn der Kopf und der Hals aufgerichtet werden, reduziert sich das Gewicht auf der Vorhand auf 56% und das Gewicht auf der Hinterhand steigt auf 44% an. Das heisst also, dass der Schwerpunkt sich näher zur Vorhand verschiebt, wenn der Kopf und Hals gesenkt wird und sich näher zur Hinterhand in der Aufrichtung verschiebt. Dies ist zwar keine grosse Überraschung, aber es ist interessant, das tatsächliche Ausmass der Gewichtsverlagerung messen zu können.

Interessanterweise hatten die Pferde eine natürliche Tendenz sich ein bisschen auf die Hanken zu setzen, wenn der Kopf und Hals aufgerichtet wurden. Weil wir diesen Effekt der Kopf-Halsbewegungen isoliert untersuchen wollten hatten wir Helfer, welche die Hinterhand ruhig hielten und versuchten eine gleichmässige Position des restlichen Pferdekörpers beizubehalten.

Diese einfache Studie beweist ohne Zweifel, dass die Position des Kopfes und Halses die Gewichtsverteilung und die Position des Schwerpunktes beeinflusst. Selbstverständlich wird der Schwerpunkt von weiteren Faktoren beeinflusst, wenn das Pferd in Bewegung ist und in einer runden, tiefen Haltung oder in einer aufgerichteten, versammelten Haltung geritten wird, was in dieser Studie nicht beachtet wurde. Diese Bewegungen werden in zukünftigen Studien weiter untersucht werden.

Nebenbemerkung:

Wir wurden bei dieser Studie von Melanie Hubbard unterstützt, einer High-School Schülerin im zweiten Studienjahr, welche einen Tag in der Woche am Math/Science/Technology Center (MTSC) in der Ferris State Universität in Big Rapids, Michigan arbeitet. Melanie und ihre MTSC Science Betreuerin Kathy Lovgren, eine begeisterte Dressur-Anhängerin, assistierten in diesem Projekt und die Resultate werden von Melanie an der regionalen Naturwissenschafts- und Technik Messe (Western Regional Science and Engineering Fair) präsentiert.

Krafttraining

Krafttraining

Krafttraining für das Dressurpferd

von Dr. Hilary Clayton

erschienen im Magazin "Dressage Today" März 1999

(Übersetzung Jenny Neuhauser)

Wenn ein Dressurpferd für ein Turnier vorbereitet wird, beinhaltet das eine Kombination aus Ausbildung und Training. Die Ausbildung lehrt die technischen Fähigkeiten, welche auf den unterschiedlichen Stufen des Wettkampfes erforderlich sind, durch sie entwickelt sich die neuromuskuläre Koordination und die mentale Disziplin. Das Training befasst sich mit der physiologischen und strukturellen Anpassung des Pferdekörpers, welche für die Ausführung der Lektionen nötig sind und das Verletzungsrisiko während des Trainings und Wettkampfes minimiert.

Trainingsarten

Ein gutes Trainingsprogramm beinhaltet drei unterschiedliche, sich gegenseitig ergänzende Typen von Training:

  • Die Kardiovaskuläre Fitness befasst sich mit der Atmung, des kardiovaskulären und des muskulären Systems, um die nötige Energie zu produzieren
  • Das Krafttraining erhöht die Kraft oder die Ausdauer spezifischer Muskelgruppen
  • Geschmeidigkeitsübungen erhöhen den Bewegungsbereich von Gelenken

Die Wichtigkeit der spezifischen Sportdisziplin

Im Pferdesport gibt es eine breite Auswahl von unterschiedlichen Disziplinen und eine gleichermassen breite Auswahl von unterschiedlichen Trainingsmethoden ist nötig, um die spezifischen Anforderungen der verschiedenen Pferde, Reiter und Sportdisziplinen zu erfüllen. Um den maximalen Nutzen aus einem Trainingsprogramm ziehen zu können, benötigt man einen individuellen Ansatz. Faktoren, wie das Alter und das bisherige Training des Pferdes, müssen genauso berücksichtigt werden, wie die Sportart, die Leistungsklasse und frühere Verletzungen des Pferdes, welche die Leistung oder die Gesundheit beeinträchtigen können.

Im Dressursport wird nicht im selben Mass eine kardiovaskuläre Fitness benötigt, wie bei einem Vielseitigkeits-, Renn- oder Polopferd, auch wenn einige Dressurpferde in diesem Bereich unzulänglich trainiert sein mögen. Geschmeidigkeit und Kraft hingegen sind äusserst wichtig, um eine gute Leistung zu zeigen. Dieser Artikel wird sich deshalb auf das Krafttraining konzentrieren, da dies im Training für höhere Leistungsklassen beim Pferdeathleten oft vernachlässigt wird.

Die Notwendigkeit des Krafttrainings

Obwohl Pferde sicherlich auch ohne spezielles Krafttraining erfolgreich sein können, ist es wahrscheinlich, dass viele aufgrund mangelnder Kraft den Höhepunkt ihres Erfolgs nicht erreichen können. Erhöhung der Muskelkraft kann nicht nur die Leistung verbessern, sondern kann auch durch die erhöhte Stabilität der Gelenke Ermüdungsverletzungen effektiver vorbeugen. Die Wichtigkeit der Stabilität von Gelenken sollte nicht unterschätzt werden: bei menschlichen Athleten geht man davon aus, dass über die Hälfte der Sportverletzungen durch geeignetes Krafttraining verhindert werden können. Die besten Resultate werden erzielt, wenn das Krafttraining auch den spezifischen Erfordernissen des Sports angepasst wird. Nicht-spezifisches Krafttraining bildet irrelevante Muskelmasse, welche sogar behindernd wirken kann. Durch das zusätzliche Gewicht wird vermehrt Energie benötigt, die Gelenke werden mehr belastet und die Wärmeabfuhr während der Bewegung wird erschwert.

Der erste Schritt erfordert nun die genaue Definition der Anforderungen an ein Dressurpferd. Weiter oben wurde angemerkt, dass Krafttraining die Kraft, die Power oder die Ausdauer eines Muskels verbessert. Also müssen diese Begriffe zuerst definiert werden.

  • Muskuläre Kraft ist die Stärke welche bei einer einzigen Muskelkontraktion produziert wird
  • Muskuläre Power ist der Zusammenhang von der Kraft und der Geschwindigkeit der Muskelkontraktion
  • Muskuläre Ausdauer ist die Fähigkeit submaximale Kontraktionen ohne Ermüdung zu wiederholen

Sportarten mit viel muskuläre Kraft und Power sind diejenigen, welche einen explosiven Ausbruch von fast maximaler Aktivität erfordern, wie zum Beispiel beim Absprung über ein Hindernis oder bei der raschen Beschleunigung aus einer Startbox. Für diese Aktivitäten wird ein Krafttraining mit hoher Intensität undrelativ wenigen Wiederholungen benötigt. Die schrittweise Steigerung wird durch Erhöhung der Intensität erzielt und weniger durch Verlängerung der Übungsdauer, so dass die Muskeln härter aber nicht länger arbeiten müssen.

Muskuläre Ausdauer wird benötigt, wenn submaximale Kontraktionen wiederholt über eine bestimmte Zeit vollzogen werden, wie z.B. bei mehreren Piaffe- oder Passagetritten. Krafttraining für die Verbesserung der muskulären Ausdauer wird mit einer niedrigeren Intensität aber einer grösseren Anzahl von Wiederholungen durchgeführt, so dass der Muskel länger statt härter arbeiten muss.

In Bezug auf die Dressur benötigt die Schule über der Erde Kraft und Power, aber das ist nicht das Ziel der meisten Reiter. Dressurpferde, welche auf einer mittleren oder fortgeschrittenen Ausbildungsstufe auf Turniere vorbereitet werden, müssen die Ausdauer der Muskeln erhöhen, die in der Versammlung aktiv sind. Diese Muskeln kontrahieren wiederholt bei jedem Schritt und mit der Verbesserung der Ausdauer dieser Muskeln ermöglichen wir dem Pferd längere Abschnitte von versammelter Arbeit durchzuführen, ohne zu ermüden. Für den grösstmöglichen Nutzen sollte das Krafttraining also auf Übungen aufbauen, welche die richtigen Muskeln aktivieren und die Beweglichkeit und Schnelligkeit der Gelenke während den Dressurlektionen nachahmt.

Wirkung des Krafttrainings

Wenn ein Pferd jeden Tag die gleiche Menge an Übungen ausführt, wird es ein bestimmtes Level an Fitness und Kraft erreichen und halten, aber es wird dieses nicht überschreiten und fitter und stärker werden. Erhöhung in Kraft resultiert aus einer allmählichen Steigerung der Übungen. Nach jeder schrittweisen Steigerung muss die neue Belastung für eine Weile erhalten bleiben, damit sich der Körper an diese neue Leistungsanforderung anpassen kann, bevor eine erneute Steigerung erfolgt. Der Wechsel von einem Belastungsschritt zum nächsten mit einer dazugehörigen Anpassungsperiode nennt man progressive Beanspruchung. Wenn das Training gestoppt oder reduziert wird, werden sich die trainingsinduzierten Veränderungen in der Muskelkraft in die entgegengesetzte Richtung entwickeln.

Der kurzzeitige Effekt einer anstrengenden Trainingslektion produziert mikroskopisch kleine Schäden im Muskelgewebe, welche normalerweise innerhalb zweier Tage abheilen. Durch den wiederholten Kreislauf von Beschädigung und Reparatur passt sich der Muskel an die erforderliche Kraft der Lektionen an. Auf lange Sicht erhöhen diese Anpassungen die Fähigkeit des Muskels, die erforderlichen Leistungen zu erfüllen.

Ungenügendes Krafttraining kann nicht genügend Anpassung produzieren, aber auch ein Zuviel an Krafttraining oder eine zu kurze Erholungszeit zwischen den Trainingseinheiten kann zu Überlastungs-Verletzungen führen. Das Risiko der Überbelastung wird reduziert durch unterschiedliche Typen von Trainingseinheiten an aufeinanderfolgenden Tagen und durch ruhigere Tage zwischen anstrengenden Trainings.

Das muskuläre System reagiert schnell auf ein Krafttrainingsprogramm, schon innerhalb weniger Wochen können signifikante Veränderungen erreicht werden. Umgekehrt aber passen sich tragende Strukturen (Knochen, Bänder, Sehnen) viel langsamer an und brauchen dafür mehrere Monate. Infolgedessen sollte besonders in den frühen Phasen eines Traininsgprogramms die Arbeitsbelastung nicht die Sehnen und Bänder überlasten.

Ist das Ziel, die muskuläre Kraft oder Ausdauer zu erhöhen, sollten Kraftübungen zwei bis dreimal pro Woche in die Trainingslektionen integriert werden. Dies ermöglicht eine gute Balance zwischen der nötigen muskulären Stimulation und genügend Erholungszeit, damit sich das Gewebe regenerieren kann. Um das jeweilige Niveau der Muskelkraft zu erhalten, ist nur einmal pro Woche eine Trainingseinheit von Kraftübungen nötig.

Krafttrainingsmethoden für Dressurpferde

Weil Pferde keine Gewichte heben oder an Kraftmaschinen trainieren können, müssen wir etwas innovativ sein, um geeignete kräftigende Übungen zu entwickeln, damit die relevanten Muskelgruppen entsprechend trainiert werden können. Training mit Steigungen, Springgymnastik, Wiederholungen von spezifischen Lektionen, die Nutzung von zusätzlichen Gewichten und das Arbeiten im tiefen Sand wurde bereits mit gutem Erfolg genutzt. Der Gebrauch einer Form des Intervalltrainings beinhaltet eine Phase intensiver Arbeit gefolgt von einem Erholgungsintervall, welches eine teilweise Erholung der Herz- und Atmungsfrequenz und der Abfuhr der angesammelten Milchsäure erlaubt. Bei Kraftübungen ist ein geeignetes Verhältnis zwischen Arbeits- und Erholungsintervallen im Bereich 1:5 bis 1:6. In anderen Worten, die Erholungsintervalle sollten 5-6 mal länger als die Arbeitsphasen sein. Während der Erholungsintervalle kann das Pferd einfachere (niedrige Intensität) Arbeit und lösende Lektionen durchführen.

Steigungen

Steigungen können in Steilheit und Richtung variieren. Steigungen bergaufwärts entwickeln Kraft in der Hinterhand. Diese Art von Übung ist vor allem in den frühen Phasen des Trainings wichtig, wenn eines der Ziele die Erhöhung der Schubkraft ist. Intervalltraining bei Kraftübungen wird bei steilen Steigungen angewendet: bergaufwärts im Schritt oder im Galopp ist die Arbeit, bergabwärts im Schritt ist die Erholung. (Es ist besser nicht steil bergauf zu traben, weil die Rotationskräfte auf das Illiosakralgelenk sehr stark sind). Steilhänge bergabwärts sollten im Schritt geritten werden, da schnellere Gangarten auch vermehrt Traumata an den Knochen und Gelenken verursachen und damit die Entwicklung arthritischer Veränderungen beschleunigen können.

Eine allmähliche Abwärtsneigung wird manchmal genutzt, um ein hohes Mass an Versammlung zu entwickeln. Die nötige Anstrengung, die Versammlung abwärts zu erhalten, ist stärker, als auf flachem Boden. Wenn das Pferd nun wieder auf flachem Grund gearbeitet wird, erscheint ihm die Arbeit einfacher. Typischerweise wird die Piaffe auf diese Weise trainiert, aber auch der versammelte Trab oder Galopp kann davon profitieren.

Springgymnastik

Der Nutzen von Springgymnastik für das Krafttraining basiert auf Gymnastiklinien, welche wiederum in Form eines Intervalltrainings genutzt werden: über die Gymnastiklinie springen ist die Arbeit, im Schritt oder leichten Trab an den Ausgangspunkt zurückkehren ist die Erholungsphase. Die Gymnastiklinie kann je nach Anzahl, Höhe und Weite der Sprünge und der Distanz dazwischen variiert werden.

Für Dressurpferde sind Gymnastiklinien, ähnlich wie die Steigungen, besonders in den Anfangsphasen des Trainings am geeignetsten, wenn die Schubkraft der Hinterhand gefördert werden soll. Die Sprünge sollten niedrig sein (ca. 50cm) und entweder als in-out oder mit einem Galoppsprung dazwischen aufgebaut werden. Bei jedem Absprung werden die Gelenke der Hinterhand auf eine ähnliche Weise gebeugt und gestreckt, wie bei der tragenden Arbeit in der Versammlung.

Die progressive Beanspruchung wird gesteigert, indem man entweder die Anzahl der Hindernisse oder die Anzahl der Wiederholungen bei gleichbleibender Höhe der Hindernisse erhöht. Für diejenigen Reiter, die selber nicht springen möchten, können ihre Pferde freispringen oder von einem anderen Reiter reiten lassen. Es ist wichtig, dass das Pferd in einer guten Manier und einem runden Rücken springt, sonst bringt das Springtraining keinen Nutzen als Krafttrainingsübung.

Sportspezifische Lektionen

Eine andere Variante des Krafttrainings ist es, Lektionen in einem Intervallformat zu wiederholen. So können zum Beispiel mehrere Wiederholungen von Piaffe- oder Passagetritten genutzt werden, um die neuromuskuläre Koordination zu verbessern und die Muskeln in einer sehr sportspezifischen Weise zu stärken, vorausgesetzt die Lektion wird korrekt durchgeführt. Wenn die Technik nicht korrekt ist, werden auch die falschen Muskeln trainiert und das Resultat hat eine schädliche Wirkung auf die Leistung.

Zum Beispiel können 6 Piaffetritte geritten werden, dann im versammelten Trab weiter auf den grossen Zirkel mit etwas Schulter- und Kruppeherein, um das Pferd zu lösen. Beim Ausgangspunkt angekommen wird die Übung wiederholt. Anfänglich könnte das Intervalltraining so aussehen, dass jeweils 4 Wiederholungen mit jeweils 6 Piaffetritten und einer Zirkelrunde Trab geritten wird. Dies könnte dreimal pro Woche an abwechselnden Tagen durchgeführt werden. Jede Woche könnte man die Anzahl der Piaffetritte (jeweils 2 Tritte) oder die Anzahl der Wiederholungen (1 Wiederholung aufs Mal) erhöht werden, um eine allmähliche Steigerung in sehr sportspezifischer muskulären Ausdauer zu gewinnen. Auf diese Weise könnte man in 9 Wochen bei 6 Wiederholungen 20 Piaffetritte reiten.

Der Ausbilder muss der natürlichen Tendenz des Pferdes entgegenwirken, kompensatorische Haltungen (z.B. die falschen Muskelgruppen) zu gebrauchen, wenn die Muskeln ermüden, da dies sehr kontraproduktiv bei einem Krafttraining ist. Sobald Müdigkeit auftritt, sollte das Krafttraining sofort gestoppt werden, auch wenn die Sequenz noch nicht beendet werden konnte, und das Pferd sollte langsam abgekühlt werden. Der Schlüssel Lektionen erfolgreich als Krafttrainingsübungen zu nutzen, liegt in genügend Wiederholungen um eine muskuläre Reaktion zu stimulieren, jedoch ohne die gute Technik zu verlieren.

Training mit Gewichten

Im Training mit Gewichten bei Pferden muss zwischen zwei Typen unterschieden werden: einerseits können die Gliedmassen in der Stützbeinphase (schiebende Phase) belastet andererseits können die Gliedmassen in der Hangbeinphase (vorschwingende Phase) belastet werden, was den Ausdruck der Bewegungen verbessern kann.

Beim Gebrauch von zusätzlichen Gewichts-Schabracken (ähnlich, wie bei Rennpferden genutzt wird) muss das Pferd stärker arbeiten. Dies kann besonders für leichtgewichtige Reiter auf grossen Pferden nützlich sein. Die Faustregel besagt, dass das Gewicht des Reiters plus Sattel mit dem zusätzlichen Gewicht bis auf 15% des Pferdegewichts erhöht werden kann. Ein Warmblut mit Stockmass 170cm wiegt typischerweise zwischen 580-680kg und könnte 87-102kg während des Trainings tragen.

Die Hinzufügung von Gewichten an den unteren Gliedmassen zielt auf die spezielle Kräftigung der Muskeln ab, welche die Gliedmassen anheben, wenn sie vorschwingen und produzieren damit einen stärkeren Ausdruck in der Bewegung. Je tiefer die Gewichte an den Gliedmassen angebracht werden, desto effektiver wirken sie. Schwerere Hufeisen sind ein Weg dieses Training durchzuführen, ein anderer wären Gewichtsglocken. Anfänglich benutzt man sie nur etwa 5min und erhöht das Gewicht und die Zeit bis auf ca. 1kg für 15min. Wenn man zusätzliche Gewichte benutzt, sollte man die Arbeit auf die versammelten Gänge (an der Hand oder unter dem Sattel) beschränken. Da das Gewicht die Schwungkraft des Beins beim Vorschwingen erhöht, besteht das Risiko, dass das Pferd die Kontrolle über das genaue Platzieren des Beins auf den Boden in den mittleren und verstärkten Gängen verliert und stolpert.

Loser, tiefer Boden

Das Pferd in einem mässig tiefen Sand arbeiten, hat einen gewissen zusätzlichen Effekt, da der Sand die Tendenz nachzugeben hat, wenn der Huf dagegen schiebt und abfusst. Um eine vergleichbare Schubkraft im tieferen Sand wie auf härterem Boden zu erreichen, muss das Pferd mehr Muskelkraft ausüben. Wie bei jeder neuen Kraftübung, sollte die Arbeit auf Sand sorgfältig und langsam aufgebaut werden. Es ist besonders wichtig, das Pferd auf Sand zu trainieren, wenn Turniere auf Sandboden gemeldet werden. Man sollte es jedoch nicht übertreiben und zu lange Arbeitseinheiten auf tiefem Sand vermeiden, um das Risiko von Bänder- oder Sehnenverletzungen zu reduzieren. Man darf nicht vergessen, dass Sehnen und Bänder viel länger als Muskeln haben, sich anzupassen.