Die Schwebephase: eine biomechanische Definition

von Dr. Hilary Clayton

erschienen im "Dressage & CT", Juli 1998

(Übersetzung Jenny Neuhauser)

Die Schwebephase ist ein vielfältig benutzter Begriff heutzutage, speziell wenn es um eine Beschreibung von Schwung in der Piaffe geht. In diesem Artikel wird die biomechanische Definition von Schwebephase (Suspension) erklärt, welche Gangarten eine Schwebephase haben und welche nicht und wie deren Vorhandensein oder Abwesenheit Pferd und Reiter beeinflusst. In einem weiteren Artikel wird die Kontroverse, wie das mit der Schwebephase in der Piaffe aussieht, genauer erläutert.

Beginnen wir mit einer Definition. Aus biomechanischer Sicht ist die Schwebephase (Suspension) diejenige Phase, in welcher das Pferd vollkommen in der Luft ist und keine der Gliedmassen in Kontakt mit dem Boden ist. Normalerweise hat ein Bein bei jedem Schritt, Tritt oder Sprung eine Stützbeinphase, in der es auf dem Boden ist und eine Hangbeinphase, wo der Huf den Kontakt zum Boden aufgibt und durch die Luft nach vorne schwingt. Die Schwebephase beinhaltet, dass alle vier Beine gleichzeitig in der Hangbeinphase sind. Auf die Gänge bezogen unterscheidet die An- oder Abwesenheit der Schwebephase, ob es sich um eine gesprungene oder gelaufene Gangart handelt. Diese Unterscheidung ist rein akademisch. Wie wir später sehen werden, bewegt sich der Pferdekörper etwas anders über das Bein in einer gesprungenen als in der gelaufenen Gangart und es ist ein immenser Unterschied, wie es sich für den Reiter anfühlt, eine gesprungene oder gelaufene Gangart auszusitzen.

Foto M. Krapf: Der Schritt hat keine Schwebephase

Foto M. Krapf: Der Schritt hat keine Schwebephase

Foto T. Brechet: Die Schwebephase im Trab

Foto T. Brechet: Die Schwebephase im Trab

Foto T. Brechet: Die Schwebephase im Galopp

Foto T. Brechet: Die Schwebephase im Galopp

Der Schritt ist immer eine gelaufene Gangart und hat darum keine Schwebephase. Im Schritt hat das Pferd immer zwei oder drei tragende Beine auf dem Boden. Trab und Galopp sind gesprungene Gangarten. Der Trab hat in einer kompletten Sequenz zwei Schwebephasen, jede jeweils nach der Stützphase eines diagonalen Beinpaars. Der Galopp hat in einer kompletten Sequenz eine Schwebephase, welche auf das Abfussen des führenden inneren Vorderbeins folgt. Diese Art von Schwebe wird als gesammelte Schwebephase (gathered suspension) beschrieben, weil sich alle vier Beine unter dem Pferdekörper befinden. Andere Tiere mit einer beweglicheren Wirbelsäule, wie Hunde oder Katzen, können zwei Schwebephasen in jedem Galoppsprung zeigen: eine gesammelte Schwebephase, mit den Beinen unter dem Körper, wie beim Pferd, und eine gestreckte Schwebephase, in welcher die Beine nach hinten und vorne ausgestreckt werden. Auch Pferde können eine gestreckte Schwebephase zeigen, z.B. im gestreckten Galopp oder bei einem Sprung über ein Hindernis.

Foto J. Neuhauser: Gestreckte Schwebephase

Foto J. Neuhauser: Gestreckte Schwebephase

Foto J. Neuhauser: Gestreckte Schwebephase

Foto J. Neuhauser: Gestreckte Schwebephase

Eine allgemeine Eigenschaft von Fortbewegung (Lokomotion) ist, dass sich die Geschwindigkeit reduziert, wenn jedes Bein länger in der Stützbeinphase verbleibt und die Hangbeinphase verkürzt wird. Der Grund dafür ist, dass bei langsameren Geschwindigkeiten, das Pferd eine bessere Balance braucht. Je mehr Beine in Kontakt mit dem Boden ist, desto mehr Stabilität ist gewährleistet. Bei höheren Geschwindigkeiten kompensiert die schnellere Fortbewegung den Verlust der Stabilität. Obwohl ein normaler Trab normalerweise zwei Schwebephasen beinhaltet, kann demzufolge ein sehr langsamer Trab die Schwebephase verlieren und das Pferd läuft von einer Diagonale zur anderen. Dies ist zum Beispiel beim Jog in der Western Disziplin „Pleasure“ ersichtlich. Bei Dressurpferden wird die Schwebephase im versammelten Trab oder Galopp sehr kurz.

Die An- oder Abwesenheit der Schwebephase beeinflusst die Art und Weise, in welcher das Pferd seine Trittlänge verändert, zum Beispiel in den Übergängen von versammelten und verstärkten Gangarten. Im Schritt, wo keine Schwebephase vorhanden ist, ist die Schrittlänge abhängig davon, wie gut sich das Pferd durch den ganzen Körper dehnen und die Gliedmassen in einem weiten Bogen durchschwingen lassen kann. Der Schlüssel im Schritt ist, den Übertritt zu maximieren, ohne den Rhythmus zu stören. Im Trab und Galopp hingegen wird die Verlängerung des Trittes oder Sprunges von Versammlung zur Verstärkung in der Schwebe erlangt. Je länger das Pferd in der Luft bleibt, desto mehr Boden macht das Pferd in der Schwebephase, was einen längeren Tritt oder Sprung zur Folge hat. Die Dauer der Schwebe hängt also vor allem auch von der Höhe des Trittes bzw. Sprunges ab. Je mehr vertikale Geschwindigkeit das Pferd hat, wenn es in die Schwebe abspringt, desto länger braucht die Schwerkraft bis sie die Aufwärtsbewegung überwältigt und das Pferd wieder auf den Boden zieht. Demzufolge kann ein Pferd mit einem guten Exterieur und geeigneter muskulären Entwicklung viel Aufwärtsbewegung generieren und grosse Verstärkungen zeigen.

Die Anwesenheit von einer Schwebephase beeinflusst auch den Reiter. In Gangarten ohne Schwebe ist es einfacher, still im Sattel zu sitzen und den Bewegungen zu folgen. Sogar ein blutiger Anfänger kann im Schritt auf dem Pferd sitzen. Alle sogenannten einfachen Gangarten, wie der Tölt oder Foxtrott, sind 4-taktige Gangarten, die sich durch die fehlende Schwebephase auszeichnen und demzufolge einfach(er) zu sitzen sind. Erst die Anwesenheit von Schwebephase fordert den Reiter heraus, den Bewegungen des Pferdes in einer kontrollierten Weise folgen zu können. Der Grund warum es bei einer Verstärkung schwieriger als in der Versammlung ist, nicht im Sattel zu hopsen, wird jetzt offensichtlich: in der Verstärkung entwickelt das Pferd mehr Schwebephase in dem es sich stärker in die Luft abstösst, so dass es dem Reiter schwerer fällt, der vertikalen Bewegung zu folgen.